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Portrait auf NDR 90,3 im Abendjournal Spezial

„Handarbeit aus vergangener Zeit - Restauratoren in Hamburg“

Im Frühjahr 2006 rief mich Franziska Drewes vom NDR an, sie habe meine Website gefunden und ob ich nicht Lust hätte in einem Radio-Feature mitzuwirken. Ich habe spontan Ja gesagt und im April kam Frau Drewes in meine Werkstatt zum Interview. So entstand der folgende Beitrag.

Neuer Glanz für eine Gründerzeit-Kommode – dank einer Laus
Geheimnisse des Möbelrestaurators Martin Rabe

Beitrag: Der Möbelrestaurator
Autorin: Franziska Drewes
Sendedatum: 27. Mai 2006

Überschrift:
Neuer Glanz für eine Gründerzeit-Kommode – dank einer Laus – Geheimnisse des Möbelrestaurators Martin Rabe

Beitrag:
Ein alter Zahnhobel, ein Stecheisen oder ein Holzhammer – unverzichtbare Werkzeuge eines Tischlers zu Zeiten des Barocks. Unverzichtbar auch für Martin Rabe. Möbelrestaurator. Im 21. Jahrhundert:

Original-Ton: Es gibt an alten Möbeln Spuren von Handwerkszeugen. Von einem Handhobel, von einem Hammer oder es gibt spezielle Schrauben aus der Zeit. Wenn ich jetzt eine neue Schraube verwende mit einem Kreuzschlitz, das sieht nicht gut aus. Oder wenn ich ein neues Brett verwende und es durch den dicken Hobel schiebe, dann habe ich typische Hobelspuren drin, die gibt es an den alten Brettern von den Möbeln nicht.

Zu Martin Rabes Utensilien gehören nicht nur Original-Werkzeuge. In seiner kleinen Werkstatt auf einem Hinterhof in Norderstedt riecht es auch wie früher – nach speziellen Polituren und Leimen:

O-Ton: Dann haben wir hier einen Beutel mit Schellack. Schellackflocken. Und hier ist ein Glas da ist der Schellack schon gelöst in Alkohol. - Man kann wirklich sagen, das sieht aus wie Bernstein und wie Honig – Wie Bernstein und wie Honig. – Das ist ein heller Schellack. Der heißt auch Sonne. Dann haben wir alten Haut- und Knochenleim. Der ist schon gemischt. Der wird über Nacht in Wasser gelöst. Dann wird er erhitzt im Leimkocher und dann wird er flüssig. Und dann kann man ihn mit der Spritze unters Holz bringen oder mit einem Pinsel auftragen.

Mit diesem speziellen Gemisch aus Tierhäuten und –Knochen klebt Martin Rabe beispielweise Stühle wieder zusammen. Allerdings nicht heute.

O-Ton: Jetzt habe ich eine kleine Mahagoni-Kommode. Eine Schmuckkommode. Die ist wirklich klein. Die ist 15 Zentimeter hoch, 20 Zentimeter breit und acht Zentimeter tief. Das ist ein altes Erbstück. Da ist eine Schellack-Politur drauf und im Laufe der Jahre einfach verdreckt.

Geräusch: Fläschchen

Auf ein kleines weißes Baumwolltuch tröpfelt der 36-Jährige nun die Schellack-Politur. Sparsam geht er dabei vor:

Geräusch polieren

Das schneeweiße Tuch färbt sich schnell rabenschwarz. Auch Martin Rabes Finger. Er arbeitet immer ohne Handschuhe. So hat er ein besseres Gefühl, erklärt er. Die braune Schmuckkommkode aus der Gründerzeit glänzt und blitzt wieder – Zentimeter für Zentimeter. Schellack gibt es seit dem Barock, erzählt Martin Rabe. Und noch etwas verrät er:

O-Ton: Im Grund nehmen Sie eine alte Schellackplatte, schmeißen Sie in Alkohol, dann löst sie sich auf und dann haben Sie Schellack und dann können Sie mit dieser Schellackplatte eine Schellackpolitur herstellen. Das sind die Ausscheidungssekrete der Schellacklaus. Die lebt in China und die Sekrete werden gereinigt, kommen hierher als Schellackflocken und werden in Alkohol gelöst und ergeben dann den Schellack. – Einzigartiger Glanz

Der Vater von zwei kleinen Söhnen ist ursprünglich gelernter Tischler. Während der Ausbildung merkte er, dass dieser Beruf körperlich zu anstrengend für ihn ist. Denn er ist eher schmächtig gebaut. Ein Praktikum in einem Restaurierungsbetrieb in Italien brachte ihn auf seinen neuen beruflichen Weg:

Italienische Musik zum auflockern

O-Ton: Die haben dort vor allem Bilderrahmen gemacht. Die waren also auf Bilderrahmen spezialisiert. Und die hatten dort ganz alte Bilderrahmen. Die waren vom Holzwurm zerfressen. Die sind auseinander gefallen. Dann waren vergoldete Bilderrahmen da und dann wurden auch neue Bilderrahmen gebaut. Und das war alles sehr interessant.

Wieder zurück in Deutschland suchte er nach einer Ausbildung zum Möbelrestaurator. Die fand er am Göhring-Institut in München – einer staatlich anerkannten Fachakademie. Dort studierte er drei Jahre. In Seminaren lernte er die wichtigsten Handwerkstechniken eines Restaurators kennen und den Unterschied zwischen Konservierung und Restaurierung:

O-Ton: Konservierung heißt, das Möbel erhalten, den Zustand, so wie er ist, zu erhalten. Und Restaurierung heißt auch, dass man Holzteile wieder ergänzt die fehlen und auch wenn eine Politur kaputt ist, dass man sie völlig neu wieder aufbaut.

Auch die Vorlesungen über Kunstgeschichte verpasste der eher zurückhaltende Mann mit den braunen kurzen Haaren so gut wie nie. Denn: egal ob Antike, Rokoko, oder Jugendstil – ein guter Restaurator muss sich in jeder Epoche auskennen:

Barockmusik

O-Ton: Das ist einmal die verwendete Holzart. In England sind die einzelnen Epochen datiert nach den Holzarten. Da gibt es das Age of Walnut, Age of Mahagony. Das Mahagonizeitalter, das Eichenzeitalter. In der Renaissance wurden die Stücke ganz anders beschnitzt als im Barock oder im Rokoko. In der Renaissance haben sich die Tischler oder Schnitzer orientiert nach den Ornamenten aus dem alten Griechenland oder aus dem Alten Rom. Im Barock kamen viele Blüten und Früchte hinzu. Es wurde alles verspielter.

Es ist nicht zu übersehen, Martin Rabe restauriert vor allem antike Möbel. Überall in seiner Werkstatt stehen Tische, Stühle, Truhen aus vergangenen Jahrhunderten. Erbstücke, Familienbesitze oder ersteigerte Raritäten von Sammlern. Seine Kunden kommen meist aus Hamburg und Umgebung. Martin Rabes bisher ältestes Möbelstück liegt gerade auf seiner Werkbank – ein barocker Schrank aus dem 18. Jahrhundert:

O-Ton: Ja, wir haben hier einen zerbrochenen Eichenschrank. Hier haben wir die Schrankwand und hier haben wir die Sehne, die vorne neben der Tür ist. Das ganze ist ziemlich schwer. Ziemlich massiv. Da ist ein Auto gegen gefahren. Der stand in der Garage. Das Holz ist in sich gebrochen. – knarrt – da tut sich ein schwerer Riss auf im Holz. Da muss Leim reingepresst werden. Und möglichst so, dass der Leim auf der Vorderseite nicht rausquillt und die alte Wachspolitur noch erhalten bleibt.

Die einzelnen Bretter von Holzwürmern befreien, die Schrankteile zusammensetzen, die alten Nägel ersetzen – viel Arbeit liegt noch vor ihm. 30 Stunden hat Martin Rabe dafür veranschlagt. Dann, so hofft er, steht der auseinandergebrochene Eichenschrank wieder. Die Restaurierungskosten? Schweigen! Darüber spricht er nicht öffentlich, nur im Vertrauen mit seinem Kunden. Das ist generell so. Viel lieber spricht er, fast schon schwärmerisch, über seinen Traumberuf. Und darüber, was einen guten Möbelrestaurator ausmacht:

O-Ton: (ein Ton aus zwei!) Übung, Übung, Übung. Sich in erster Linie auch einfühlen. Sich in die Objekte einfühlen. Ins Holz einfühlen. Natürlich auch in den Kunden einfühlen. Was möchte er gemacht haben. In die Stoffe einfühlen, in den Schellack einfühlen. Im Grunde das Einfühlungsvermögen. Ich gehe auf Antiquitätenmessen, auf Flöhmärkte – überall wo man alte Möbel sieht – Ich nehme jedes Stück hoch, schaue es mir von unten an. Es ist Faszination Möbel. Wie ist der Tisch gebaut, wie fühlt sich Holz an. Es ist auch so, dass ich in jedem Restaurant jedes Kaugummi unterm Tisch finde.

Und während er das sagt verrät er, dass er sich gerne einmal in die Möbel des David Röntgen einfühlen würde – dem berühmtesten deutschen Kunstschreiner des 18. Jahrhunderts:

Musik 18. Jahrhundert

O-Ton: Es ist die Hochwertigkeit der Möbel. Die Bauweise. Die sind perfekt konstruiert. Es blättert kein Furnier ab. Sie sind einfach perfekt gebaut. Es ist auch eine perfekte Materialmischung. Die Beschläge sind aus Metall. Schlösser, Geheimfächer, was es da alles gibt. Alles funktioniert noch heute wie am ersten Tag. Die Möbel sind einfach perfekt.

Martin Rabe ist und bleibt Realist. Er weiß, einen Stuhl von David Röntgen wird er wohl nie restaurieren können:

O-Ton: Ich könnte gar nicht die Versicherung bezahlen. – lacht

Trotzdem: Martin Rabe kann genug andere Anekdoten aus seinem Berufsalltag erzählen. Jeder Tag stellt ihn vor neue Herausforderungen. An seinem Job liebt er vor allem die Vielfalt und den Facettenreichtum. Gleich zu Beginn seiner Selbständigkeit durfte er einen Schreibsekretär von Inge Meysel restaurieren. Momentan stehen bei ihm sechs gepolsterte Jugendstil-Stühle eines französischen Designers. Ihre Lehne und die Sitzflächen sind mit rosa Blüten und hellgrünen Blättern verziert:

O-Ton: Die Stühle aus Palisanderholz gebaut sind sie dort gebrochen wo sie nicht brechen dürfen und zwar an der Stelle wo die Zargen der Sitzflächen in die hinteren Stuhlbeine reingehen. Das hört sich dann so an.

Sie müssen neu geleimt werden. Wer sich darauf setzt, bricht sonst zusammen.
Wer wohl früher auf ihnen Platz genommen hat? - das fragt sich Martin Rabe heute. 1900 standen diese Stühle auf der Weltausstellung in Paris:

Französische Musik um 1900

O-Ton: Da kann man sich schon so Gedanken vorstellen, was war damals los in Paris. Wie sahen die Leute aus auf dieser Weltausstellung? Da stand dieser Stuhl, der jetzt hier in meiner Werkstatt steht. Das bin ich schon stolz, diesen Beruf ergriffen zu haben und auch stolz solche Kunden zu haben, die einem die Möbel auch anvertrauen.

Kein Wunder, dass er auf die Frage: wie lange er noch Möbelrestaurator sein möchte, prompt antwortet: bis ins hohe Rentenalter:

O-Ton: So stelle ich mir das vor. Wer weiß wie die Rente sich entwickelt, wenn es dann nicht reicht, dann habe ich immer noch die Möglichkeit im Wohnzimmer notfalls noch ein bisschen zu polieren.

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